Die Kirchenfenster von St. Gabriel
Vier Buntglasfenster – geschaffen von Hanno Edelmann für die Kirche St. Gabriel in Hamburg-Volksdorf – laden den Betrachter ein, einem besonderen Thema biblischer Überlieferung zu folgen.
Wer die Kirche durch den Haupteingang betritt, der wende sich zur rechten Seite; er gelangt so in den Teil des Kirchenraumes, dessen Rückseite ganz eingenommen wird durch die Glaswand mit der einzigen alttestamentlichen Darstellung des vorgegebenen Themas: Die Verkündigung der Menschwerdung Gottes durch den Erzengel Gabriel. Dargestellt ist auf diesem Glasfenster die Ankündigung der Geburt des Richters Simson, dessen Lebensgeschichte nachzulesen ist im Buch Richter Kapitel 13 bis 16. Es ist die Geschichte eines von Gott begnadeten Menschen, der aber in dieser Begnadigung enttäuschend scheitert. Simson ist ein Geschenk Gottes an sein Volk. Er war mit Kräften reich begabt. Er sollte sein Volk aus der unterdrückenden Hand der Philister befreien. Aber was tut er mit dieser Gotteskraft? Er weiß sie nicht zu gebrauchen. Er lässt nur seine Muskeln spielen, statt sie im Gehorsam gegenüber seinem Auftrag zu üben. So stellt Simson das Sinnbild vertaner Gotteskraft dar.
Dieser Darstellung korrespondiert die Glasfensterrückwand zur linken Seite: Die Botschaft an die Hirten durch den Engel des Herrn, wie sie uns im Evangelium des Lukas, Kapitel 2,8 bis 20 berichtet wird. Zu sehen sind die Hirten auf dem Felde: Die Armen und Verachteten, die Verdammten dieser Erde, sie werden als erste wert und würdig geachtet, Gottes neues Angebot zu hören. Der Engel des Herrn erscheint ihnen des Nachts, die Klarheit des Herr umleuchtet sie, und sie fürchten sich sehr: Eine große Furcht. Doch die „Mega-Angst“ wird gewandelt, verwandelt in eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird.
Die Verängstigten werden furchtlos, angstfrei, voller Freude. Die Eingeschüchterten, die immer schon verängstigt waren, weil ihnen durch Mächtige, Reiche, Wohlgepflegte die Angst tägliches Brot war, sie werden frei und aller Ängste ledig. An ihnen erweist sich das Wort des Paulus als wahr: Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. Als sie wieder unter sich sind, sind sie andere, neue Menschen geworden, und sie beschließen: „Auf! Lasst uns gehen nach Bethlehem!“ Und sie kamen eilend und fanden das Kind, den Heiland, den Christus. So stehen uns die Hirten gut dafür, dass Verkündigung Menschen von Angst zur Freude befreien kann.
Im hohen Fenster zur rechten Seite begegnen wir dem Priester Zacharias, dem Vater Johannes des Täufers. Ihm erscheint während seines Tempeldienstes der Engel des Herrn. Auch ihn befällt große Furcht, er erschrickt. Aber der Engel spricht zu ihm: „Fürchte eich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört. Elisabeth, deine Frau, wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Johannes geben.“ Doch Zacharias kann es nicht fassen; er will eine Garantie dafür haben, dass er keiner Sinnestäuschung aufsitzt: „Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin alt, und meine Frau ist betagt.“ Zacharias stellt durch seine Fragen sein eigenes Gebet infrage. Nun macht sich der Bote Gottes bekannt: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und ich bin gesandt, mit dir zu reden, damit ich dir solches verkünde. Und siehe, du wirst verstummen und nicht reden können bis auf den Tag, da dies geschehen wird, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast.“ So zeigt uns Zacharias: Gott erhört, und wenn er erhört, dann lässt er sich auch nicht durch Unglauben irritieren oder gar von seinem Vorhaben abbringen; denn er ist stärker als unser Unglaube, weil er nicht unser Unheil will, sondern unser Heil. (Lukas, Kapitel 1, 5 – 25)
Wendet sich der Betrachter dem linken hohen Fenster zu, so hat sich die äußere Szene kaum verändert: Wieder ist es der Engel Gabriel, diesmal von Gott gesandt nach Nazareth, einer Stadt in Galiläa, zu Maria, die verlobt war mit einem Mann namens Joseph, aus dem Hause Davids (Lukas 1, 26 – 38). Auch ihr widerfährt zunächst Schrecken; denn das Auftreten und der Gruß des Boten lassen sie entsetzt fragen: „Welch ein Gruß ist das?“ Dann aber weicht alle Angst aufgrund dessen, was ihr gesagt wird: Sie wird Mutter werden, auch wenn sie von keinem Manne weiß; der Heilige Geist wird über sie kommen und die Kraft Gottes wird sie überschatten. So wird sie die Hochbegnadete, und sie nimmt diese Gnade an: „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.“ An Maria erweist es sich: Gott hält es mit den Erniedrigten und Gedemütigten und nicht mit den Gewaltigen und Erhabenen. Die Hungrigen beschenkt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Grundmotiv aller vier Glasfenstern ist: Gotteserfahrung macht Ängste bewusst; der Betrachter achte auf die Hände, Füße, ja, den ganzen Körper der betroffenen Gestalten, er achte besonders auf die Körperhaltung des Zacharias und der Maria. Gotteserfahrung befreit aber auch von diesen Ängsten, ermöglicht ein Leben frei von Angst. Der Engel Gabriel wird in jeder Szene anders dargestellt: Mal stürzend, mal steigend, mal stehend, mal schwebend, gleichsam von allen Seiten den Betrachter umgebend. Er lässt uns ahnen, was Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis Silvester 1944 kundgab:
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.